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Potenziale für datengetriebene Mobilität im ländlichen Raum

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Laura Puttkamer

Potenziale für datengetriebene Mobilität im ländlichen Raum

Während viele Städte ihr Mobilitätsportfolio erweitern können, erleben ländliche Regionen oft, dass Infrastrukturen zurückgebaut und Angebote verknappt werden. Dem stellen sich datenbasierte Mobilitätsprojekte mit innovativen Lösungen entgegen, etwa indem sie Nahverkehrs- und Transportdienste vernetzen oder zentralisierte Service-Apps anbieten.

„Mobilität bedeutet Teilhabe am Leben“ erklärt Nicole Wagner-Hanl, Senior Consultant für Personenmobilität am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik, Projektzentrum für Verkehr, Mobilität und Umwelt in Prien am Chiemsee in Bayern. Sie forscht dort zu den Auswirkungen von Augmented Reality- und Reiseassistenzsystemen auf das Mobilitätsverhalten sowie zu Mobilitätskonzepten für einen vernetzten und nachhaltigen Personenverkehr.

„Ein gut funktionierendes Mobilitätsangebot trägt zu einem attraktiven Lebens- und Arbeitsraum bei und ist insbesondere für ländliche Regionen wichtig, um Abwanderungsbewegungen der Bevölkerung in Richtung der Städte entgegen zu wirken“, erklärt sie weiter.

In großen deutschen Städten, in denen Innovationen wie Ride-Sharing, erste Versuche mit dem Autonomen Fahren, E-Scooter und One-Stop-Apps gerade in den letzten Jahren viel bewegt haben, gibt es meist vielfältige und gut ausgebaute Mobilitätsangebote.

Ausdünnen des ÖPNV erhöht Anzahl der PKW-Fahrten

In ländlichen Räumen wurden hingegen häufig die Möglichkeiten geringer und die Sorgen größer: Stillgelegte Bahnstrecken, weniger Busverbindungen und fehlende multimodale Angebote, bei denen man auf einem Weg mehrere Verkehrsmittel nutzt, beispielsweise öffentlichen Nahverkehr mit Leihfahrzeugen und anderen privaten Mobilitätsdiensten kombiniert. Benachbarte Probleme sind der Verlust von Einkaufsmöglichkeiten in Ortschaften und weiteren Versorgungsangeboten, wie Arztpraxen oder Freizeiteinrichtungen, wodurch die Wege weiter und Fahrdienste wichtiger werden.

Insbesondere das Ausdünnen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sorgt dafür, dass Menschen vermehrt (eigene) PKWs nutzen. Dies führt wiederum dazu, dass die Nachfrage nach dem ÖPNV weiter abnimmt. Daraus ergibt sich ein Kreislauf, der zu einer Zunahme des Individualverkehrs führt und die Zahl der PKWs erhöht.

Solange der Großteil der Fahrzeuge mit Benzin oder Diesel fährt, erhöhen sich mit zunehmender Abhängigkeit von PKWs auch die CO2-Emissionen. Und die betreffen auch ländliche Räume, in denen viel Berufspendler*innen ebenso alltäglich sind, wie zunehmender Wirtschaftsverkehr.

Demgegenüber sieht der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung vor, dass der Verkehrsbereich den CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 bis 42 Prozent gegenüber 1990 senken soll. Dies soll dazu beitragen, die Ziele zu erreichen, welche die Bundesregierung im Rahmen des Klimaschutzplans und ihrer deutschen Klimaschutzlangfriststrategie vor vier Jahren festlegte.

Um im ländlichen Raum die Lebensqualität zu fördern und zugleich zum Erreichen der Klimaschutzziele beizutragen, sind Veränderungen erforderlich und Innovationen gefragt. Dazu merkt Nicole Wagner-Hanl an: „Insbesondere in großen beziehungsweise verstreut zersiedelten Flächenlandkreisen wird an neuen Lösungen zur Bündelung der Nachfrage und an der Schaffung von flexiblen, bedarfsgesteuerte Mobilitätslösungen („Mobility-on-Demand“) gearbeitet.“

An der „Stellschraube für Personenmobilität“ drehen

In zahlreichen Projekten testen und evaluieren regionale Verkehrsbetreiber in Kooperation mit Forschungseinrichtungen und Unternehmen zielgruppenorientierte Mobilitätsangebotelösungen. Dazu zählen fahrende Büchereien und Einzelhändler*innen sowie Vorstadt-Zubringer, Rufbusse und kombinierte Personen- und Pakettransportdienste.

Für eine Verbesserung der ländlichen Mobilität spielen datengetriebene Innovationen eine ausschlaggebende Rolle. Eine gute Grundlage bieten hier beispielsweise die standardisierten Daten der durchgängigen elektronischen Fahrgastinformation (DELFI). Dabei handelt es sich um eine deutschlandweite Verbindungsauskunft im gesamten Personennah- und -fernverkehr mit Verkehrsmitteln wie Bussen, Schiffen, Straßenbahnen, U- und S-Bahnen sowie Regional- und Fernzügen.

Zudem sorgen die rechnergestützten Betriebsleitsysteme (auch bekannt als ITCS, Intermodal Transport Control System) von öffentlichen Verkehrsmitteln für Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Leitstelle, sowie für Datenaustausch, etwa für dynamische Fahrgastinformationen.

Mithilfe dieser Daten ließe sich laut Nicole Wagner-Hanl an der „Stellschraube für Personenmobilität“ drehen – beispielsweise, um Ist-Situationen aufzunehmen oder um Nachfrage und Angebot in Echtzeit zu analysieren. Datenauswertungen von vergleichsweise neuen Diensten, wie Ride-Pooling oder Ride-Sharing, sowie von Mobilitätsplattformen und -Apps wären dabei eine wertvolle Unterstützung, um die Angebote zu optimieren. Ziel ist eine flexible, landkreisübergreifende und verzahnte sowie möglichst intermodale Mobilität.

„Aus Sicht des Reisenden werden zum Beispiel Informationen aus einer Hand durch eine Beratung in Mobilitätszentralen oder über Mobilitätsplattformen gewünscht“, ergänzt Wagner-Hanl. „Das bedeutet eine zuverlässige Information über die gesamte Reisekette hinweg zu allen zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln, sowie eine einheitliche Möglichkeit zur Buchung und Bezahlung. Services und Leistungen können den Reisenden personalisiert und in Echtzeit angeboten werden. Wenn Angebote transparent dargestellt werden und vernetzt und einfach zugänglich sind, kann datengetriebene Mobilität im ländlichen Raum greifen.“

Vier zukunftsweisende Beispiele

Eine große Herausforderung ist, anhand bestehender Daten strategisch sinnvolle Angebote mit Regionalbezug zu erstellen. Das funktioniere besonders gut, wenn die Akteur*innen sich untereinander vernetzen, erklärt Wagner-Hanl. Zu den Akteur*innen gehören vor allem Kommunen, regionale Verkehrsträger, das Tourismusmanagement sowie Ansprechpartner*innen aus dem betrieblichen Management dortiger Unternehmen.

Die folgenden vier Beispiele stehen stellvertretend für unterschiedliche Ansätze und Lösungen, die sich bereits bewähren beziehungsweise in der Praxis auf ihre Zukunftsfähigkeit getestet werden.

  • Mobilität von Morgen – immer Mobil im Landkreis (Passau, Bayern): Dieses ganzheitliche Angebot existiert seit 2014 und zählt zu den Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des Öffentlichen Personennahverkehrs aus der „ÖPNV-Offensive 2010“. Hierfür bietet der Landkreis Passau eine sowohl telefonisch als auch persönlich erreichbare Mobilitätszentrale als Service- und Auskunftsstelle an. Zudem gibt es eine Online-Mobilitätsplattform, über die sich fast alle Verkehrsmittel der Region buchen lassen. Seit 2017 ist die intermodale App „Wohin du willst“ an das Projekt angebunden, mit der die Nutzer*innen Bedarfsverkehre, wie Rufbusse sowie Car-Sharing und Mitfahrangebote direkt online buchen können. Damals war die App eine Neuheit in Deutschland. Dank einer steilen Lernkurve, langjährigen Praxiserfahrungen und umfangreichen Daten sind viele regionale Verkehrsverbünde an der App interessiert. Die Daten aus der App bieten hilfreiche Informationen zu Angebot und Nachfrage an ÖPNV im ländlichen Raum und können genutzt werden, um künftige Verkehrsangebote entsprechend zu planen.
  • KombiBus (Uckermark, Brandenburg): In der brandenburgischen Uckermark fährt seit mehreren Jahren der KombiBus, der den Linienverkehr durch Serviceangebote wie Post, Kurierdienste und einen speziellen Dienst für Mobilitätseingeschränkte ergänzt. Das bedeutet, dass die Linienbusse bestimmte Transportdienste übernehmen und dafür zum Teil auch mit speziellen Anhängern ausgerüstet sind. Das Besondere am KombiBus ist die Kombination aus Personenverkehr und Logistik. Ausgeklügelte Algorithmen helfen dabei, die notwendigen Verkehrsmittel genau an den Bedarf anzupassen.
  • LandLeuchten (Nordrhein-Westfalen): Dieses mFUND-geförderte Projekt hat zum Ziel, in den ländlichen Regionen Eifel und Hunsrück die kulturelle Teilhabe, die Mobilität aller Generationen, die Versorgung mit lokalen Produkten sowie die Kultur- und Freizeitgestaltung zu verbessern. Dank eines kollaborativen Living Labs liegt der Fokus auf sozialen Funktionen wie mobilen Treffpunkten, Lieferdiensten und Teilhabe. Die Bürger*innen der Region werden dabei also eingebunden, wodurch es möglich sein soll, die speziellen Bedürfnisse einer Region genau zu erfassen und entsprechende Angebote zu entwickeln.
  • Digitales Dorf Bayern: In inzwischen fünf bayerischen Dörfern gibt es Pilotprojekte, die mithilfe von Mobilitätsangeboten die gesundheitliche Versorgung, den touristischen Zugang sowie das Umweltbewusstsein verbessern sollen. Auch ein mobiler Dorfladen, der den gesamten Landkreis Tirschenreuth bedient, gehört dazu. Die Pilotprojekte verbessern nicht nur die Mobilität, sondern zeigen auch beispielhaft, wie gewinnbringend es sein kann, Daten zu teilen.
Digitalisierung hat großes Potenzial für verbesserte Mobilität auf dem Land

Laut Nicole Wagner-Hanl ist der Markt der Mobilitätsplattformen in Deutschland und weltweit sehr dynamisch und es gibt eine Vielzahl an Anbietern von Mobilitätsdienstleistungen. Zugleich sei den Reisenden, die mobile Anwendungen nutzen und auf verschiedenen Mobilitätsplattformen registriert sind, der Datenschutz ein großes Anliegen. Experimente wie das Passauer Projekt „Mobilität von Morgen“, das kontinuierlich aus den gesammelten Erfahrungen lernt und sich anpasst, sind hierbei von besonderer Wichtigkeit.

In den nächsten fünf Jahren werde die datengetriebene Mobilität im ländlichen Raum laut Expert*innen große Fortschritte machen. Ein flächendeckendes 5G-Netz sowie eine verbesserte Finanzierung seien dafür wichtige Bedingungen. Autonomes Fahren wird dagegen vermutlich erst ab dem Jahr 2040 verlässlich funktionieren, wie eine vom ADAC in Auftrag gegebene Studie ergab.

„Ich sehe grundsätzlich mehr Möglichkeiten als Hindernisse für die datengetriebene Mobilität auf dem Land“, sagt Frau Wagner-Hanl abschließend. „Wenn Mobilität im ländlichen Raum service- und nachfrageorientierter gestaltet wird, zum Beispiel über eine gute Taktung, über On-Demand-Angebote als Zubringer zu Hauptverkehrsachsen des ÖPNV, über ein gut ausgebautes Angebot von Car-Sharing oder Ride-Sharing, dann kann es funktionieren. Rufbusse können das regelmäßige fahrplan- und liniengebundene Angebot auf den Nebenachsen abdecken. Die Digitalisierung hat in diesem Zusammenhang ein großes Potenzial, die Mobilität auf dem Land in Echtzeit nutzerfreundlicher, klimafreundlicher und effizienter zu gestalten. Nun müssen wir mit Grundlagenarbeit den Weg ebnen, damit auch kleine Verkehrsdienstleister die Digitalisierung angehen können.“

Aufmacherfoto: kaffeeeinstein, via Flickr, CC-BY-SA 2.0

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