„Flight over Cologne“ von Neuwieser (via Flickr), CC BY-SA 2.0
Flight over Cologne by Neuwieser

Datenbasierte Innovationen für die Binnenschifffahrt

in die Zwischenablage kopiert

Zuletzt bearbeitet am

Henry Steinhau

Datenbasierte Innovationen für die Binnenschifffahrt

Die EU will, das zukünftig mehr Güterverkehr per Schiff erfolgt, weil das energiesparender und damit umweltfreundlicher ist. Um das steigende Aufkommen besser zu steuern, sollen Schiffe, Schiffsleittechnik und Schleusenmanagement optimiert werden: Mithilfe von Satellitendaten und digitalen Steuerungstechnologien, erprobt in einem digitalen Testfeld für die Binnenschifffahrt, und dem Erfahrungswissen von Schleusenpersonal.

Mit ihrer „Strategie für eine nachhaltige und smarte Mobilität“ will die EU-Kommission das Transport- und Verkehrswesen in Europa in den kommenden Jahrzehnten neu ausrichten (Emmett berichtete). Darin benennt sie die Schifffahrt als wesentlichen Bereich für Innovationen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. So soll unter anderem der Warentransport mit Binnenschiffen und auf kurzen Seewegen bis zum Jahr 2030 um 25 Prozent zunehmen.

Im Vergleich zu Lkw und Flugzeugen verbrauchen Schiffe pro transportierter Gütermenge deutlich weniger Energie und belasten somit weniger die Umwelt. Dies gilt umso mehr, je eher sie mit umweltschonenden Antrieben fahren. Daher sollen, so die EU-Kommission, bis 2030 emissionsfreie Schiffe marktreif sein.

So oder so bedeuten mehr Warentransporte per Schiff mehr Verkehr auf Deutschlands rund 7.300 Kilometern Binnenwasserstraßen (Flüsse und Kanäle), für die weit über 300 Schleusen und in den knapp 80 Binnenhäfen.

Diese Zunahme des Binnenschiffsverkehrs fordert die Logistik heraus und ruft nach modernen, digitalisierten und datengestützten Lösungen, um die Schiffe sicher, aber eben auch effizienter zu leiten. Zahlreiche Projekte und Vorhaben widmen sich bereits diesen Herausforderungen, sowohl die EU als auch die Bundesregierung unterstützen mit mehreren Förderprogrammen.

Fahrerassistenzsysteme in automatisierten Binnenschiffen

Im Mai 2020 startete das Projekt „IW-NET“, gefördert vom EU-Programm „Horizont 2020“. Dahinter steht ein Konsortium, das aus 26 Forschungseinrichtungen (darunter das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrttechnik, DLR), öffentlichen Organisationen und Unternehmen aus neun europäischen Ländern besteht, koordiniert vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL). Es will mehrere Kernkomponenten entwickeln und erproben, die sich für verschiedene Fahrerassistenzfunktionen in automatisierten Binnenschiffen eignen.

Blick aus dem Steu­er­haus wäh­rend ei­ner Mess­fahrt. Foto: DLR, CC-BY 3.0
Blick aus dem Steu­er­haus wäh­rend ei­ner Mess­fahrt. Foto: DLR, CC-BY 3.0

Ein Beispiel ist die zentimetergenaue Positionsbestimmung beim Einfahren in Schleusen. Hierbei wollen die Forscher*innen auch auf verfügbare Signale des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo zugreifen. (Siehe hierzu auch den Emmett-Podcast über die Nutzung von Satellitendaten für besseres Navigieren von Schiffen und frühzeitiges Erkennen von Gefahren auf Bahngleisen.)

Da diese Navigationssignale mitunter nicht optimal zu empfangen sind, etwa weil Gebäude oder landschaftliche Gegebenheiten sie beeinflussen, sollen an Land installierte Anlagen den Datenfluss überwachen sowie die Signalqualität verbessern. Diese und weitere Systeme an Bord der Schiffe will das Forschungsteam im Lauf des Jahres testen. Dafür setzt es entsprechend ausgerüstete Schiffe ein, die im digitalen Testfeld für Binnenschiffe auf der Spree-Oder-Wasserstraße fahren werden – ein weiteres Schlüsselprojekt für die Modernisierung der Binnenschifffahrt.

Das digitale Testfeld für Binnenschiffe auf der Spree-Oder-Wasserstraße

Für dieses digitale Testfeld arbeiten ebenfalls zahlreiche Firmen und Einrichtungen zusammen. Die ersten Phasen des Aufbaus sind bereits abgeschlossen. So entwickelten die Beteiligten im Rahmen des Projekts „AutonomSOW“ (SOW ist die Abkürzung für Spree-Oder-Wasserstraße), das der mFUND des BMVI förderte, zunächst ein umfassendes Technologiekonzept, welches sie zum Projektabschluss im April 2020 vorlegten.

Das Konzept beschreibt die Anforderungen, wie ein solches digitales Testfeld ausgestattet sein und funktionieren muss, um die Technologien und Abläufe hinsichtlich Logistik, Hafen, Wasserstraße, Binnenschiff, Kommunikationskanal und Verkehrsmanagement hinreichend testen zu können. Hierzu gehören auch die Erfordernisse, um teilweise oder vollständig automatisiert beziehungsweise autonom fahrende Schiffe testen zu können.

Zudem legte das Projektteam konkrete Handlungsempfehlungen und Zeitpläne für den Aufbau des digitalen Testfelds in der Spree-Oder-Wasserstraße vor. Darauf aufbauend startete im November 2020 das Folgeprojekt „AutonomSOW II“, das ebenfalls mFUND-gefördert ist.

In diesem Projekt entwickeln die Forscher*innen unter anderem eine Datenbankstruktur sowie Schnittstellen zu unterschiedlichen Eingangsdaten, die beispielsweise von den bereits erwähnten Satelliten stammen, aber auch von den Steuerungstechnologien an Land und an Bord der Schiffe. Außerdem wollen sie innovative Verfahren und Systeme zur Echtzeiterfassung von Wasserstraßen- und Verkehrsdaten aufbauen und auf der Spree-Oder-Wasserstraße erproben. Das Projekt läuft bis Oktober 2023.

Um die deutschen See- und Binnenhäfen bei der Digitalisierung der Infrastruktur und ihrer Entwicklung zu Datenhubs zu unterstützen, setzte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zum Anfang diesen Jahres die Förderrichtlinie „Digitale Testfelder in Häfen“ auf. Nach derzeitiger Planung stehen rund 15 Millionen Euro Fördermittel jährlich zur Verfügung, um in Häfen digitale Testfelder aufzubauen.

Mit zusammengeführten Daten das Schleusenmanagement verbessern

Auf das Optimieren der Ein- und Ausfahrvorgänge in Schleusen zielt ein weiteres der vielen Forschungsvorhaben, die sich der Binnenschifffahrt widmen. Mit dem 2020 gestarteten, über drei Jahre laufenden Projekt „SchleusenNOK40“ (gefördert vom mFUND) streben die beteiligten Forscher*innen an, das Schleusenmanagement zu verbessern.

Foto: Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Brunsbüttel
Foto: Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Brunsbüttel

Dafür wollen sie möglichst viele Wetter- und Klimadaten, Navigations- und Geodaten sowie weitere, möglichst umfassende Datenbestände zusammenführen und analysieren. Konkret sollen die Schiffsbesatzungen genauere Informationen über zu erwartende Warte- und Abfertigungszeiten an den Schleusen erhalten.

Zugleich wollen die Forscher*innen auch das Schleusenpersonal unterstützen, etwa durch datenbasierte Verkehrsprognosen. Hierfür wollen sie unter anderem auf das Erfahrungswissen des Schleusenpersonals des Nord-Ostsee-Kanals (NOK) zugreifen und dieses in das Planungswerkzeug einfließen lassen.

Hinweis: Datengetriebenen Innovationen für die Binnen- und die Seeschifffahrt widmet sich der Emmett-Podcast #3. Des Weiteren erscheint in Kürze unser Forschungsmonitor zu diesem Thema.

Aufmacherfoto: „Flight over Cologne“ von Neuwieser (via Flickr), lizenziert unter CC BY-SA 2.0

Empfohlene Beiträge